Immunsystem und Training

Vernünftig dosiertes Training stärkt das Immunsystem. Doch was sollte man, vom Hobbysportler bis hin zum Hochleistungssportler, wissen und beachten, um gesund durch die Winterzeit zu kommen, ohne gehäuft an Infekten zu erkranken und ein gesundheitliches Risiko einzugehen?

Von Jürgen Scharhag

Akute Effekte von Training und Sport auf das Immunsystem

Während körperlicher Belastung kommt es zu einer vermehrten Ausschüttung von Stresshormonen, insbesondere Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol. Dies führt unter anderem zum Anstieg der Herzfrequenz, des Blutdruckes sowie zu einer Beeinflussung des Stoffwechsels. Die Anstiege dieser Hormone sind abhängig von der Belastungsintensität. Je höher die Belastungsintensität ist, um so höher ist die Ausschüttung der Stresshormone. Eine einfache Methode zur Überprüfung der Belastungsintensität ist die Herzfrequenz, die uns wie beim Auto anzeigt, in welchem Drehzahlbereich wir uns bewegen.

Neben den Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System und den Stoffwechsel beeinflussen die Stresshormone auch die Zellen des Immunsystems. Bereits vor mehr als hundert Jahren wurde nach einer zehnminütigen körperlichen Belastung eine Zunahme der für die Immunfunktion zuständigen weißen Blutkörperchen, der Leukozyten, im Blut festgestellt. Heute weiß man durch umfangreiche sportimmunologische Forschung, dass diese sogenannte „Belastungsleukozytose“ abhängig von der Belastungsintensität ist und die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin zur Ablösung der an den Gefäßwänden haftenden Leukozyten führen. Bei hochintensiven Belastungen kann die Blutkonzentration der weißen Blutkörperchen mehr als doppelt so hoch sein wie in Ruhe. Allerdings fallen die im Blut zirkulierenden weißen Blutkörperchen nach Belastung binnen weniger Minuten wieder ab und können für einige Stunden sogar unter das Ausgangsniveau absinken. Darüber hinaus kann in dieser Phase die Immunfunktion der Zellen reduziert sein und dadurch kurzfristig eine erhöhte Infektanfälligkeit bestehen. In der Sportimmunologie wird diese Phase als das “Open Window“, als offenes Fenster für Infekte, bezeichnet.

Auch das Open Window ist abhängig von der Belastungsintensität. Je intensiver und erschöpfender das Training oder eine sportliche Belastung ist, um so ausgeprägter ist das Open Window – und somit auch die Phase einer möglichen Erkältungs- oder Ansteckungsgefahr. Beispielsweise konnte in einer Studie nachgewiesen werden, dass bei Teilnehmern eines Marathonlaufs binnen zwei Wochen danach vermehrt Infekte der oberen Atemwege auftraten.

In der Praxis sollte nach dem Training oder Wettkampf darauf geachtet werden, nicht auszukühlen, die Klimaanlage im Auto oder Mannschaftsbus, Hotelzimmer, in der Wohnung oder am Arbeitsplatz zu reduzieren oder ggf. auszuschalten, sich in der kalten Jahreszeit nicht lange in der Kälte aufzuhalten und nach dem Duschen warm anzuziehen (falls erforderlich auch mit Mütze, Schal und Handschuhen), da sich bei Kälte die Blutgefäße an den Schleimhäuten zusammenziehen und folglich eine schlechtere Durchblutung mit geringerer Anzahl an Immunzellen zur Abwehr von Viren oder Bakterien bereit steht. Zusätzlich ist während eines längeren Trainings oder Wettkampfs sowie in den ersten ein bis zwei Stunden danach eine ausreichende Zufuhr von Kohlenhydraten empfehlenswert, da hierdurch auch die Ausschüttung des Stresshormons Kortisol reduziert wird, welches die Funktion der Immunzellen ebenfalls einschränkt.

Stärkung des Immunsystems durch Training und Sport?

Vernünftig dosiertes Training verbessert nicht nur die Ausdauer oder Muskelkraft, sondern auch das Immunsystem. Weniger intensive Belastungen – in der Sportler- bzw. Trainersprache als extensive oder regenerative Belastungen bezeichnet – führen akut beispielweise zu einer verbesserten zellabtötenden Eigenschaft der sog. Makrophagen, der Fresszellen, die wesentlich bei der ersten Immunreaktion einer Infektabwehr beteiligt sind. Auch die Funktion der Natürlichen Killerzellen wird durch extensive oder regenerative Belastungen weniger stark beeinflusst als durch intensiven Sport. Zusätzlich scheint das Auslaufen oder „Cool Down“ günstige Effekte auf die Funktion einiger Immunzellen zu haben und besser zu sein, als das abrupte Beenden einer sportlichen Belastung.

Langfristig ist das Infektionsrisiko von Hobby- und Gesundheitssportlern geringer als das von Nicht-Sportlern oder Hochleistungssportlern. Dies veranschaulicht die sogenannte J-förmige Kurve.

Langfristig ist das Infektionsrisiko von Hobby- und Gesundheitssportlern geringer als das von Nicht-Sportlern oder Hochleistungssportlern. Dies veranschaulicht die sogenannte J-förmige Kurve (s. Abbildung). Allerdings können es auch Hobby- und Gesundheitssportler übertreiben und in ein Überlastungs- oder Übertrainingssyndrom mit erhöhter Infektanfälligkeit hinein trainieren, in dem sie die Belastungen wiederholt zu intensiv gestalten und zu wenig regenerative Phasen einstreuen. Im Gegensatz zum Profisportler muss der Hobby- und Gesundheitssportler auch die zusätzliche Belastung durch den Arbeitsalltag und die dadurch möglicherweise reduzierten Regenerationsmöglichkeiten berücksichtigen. Deshalb ist es auch im Hobby- und Gesundheitssport wichtig, die Trainingsbelastung korrekt und individuell zu dosieren, damit auch das Immunsystem vom Training profitiert. 

Kann während eines Infekts trainiert werden?

Während eines Infekts sollte auf keinen Fall trainiert oder gar ein Wettkampf bestritten werden. Bereits bei einem beginnenden Infekt gilt die Regel „Weniger ist mehr“, und es muss frühzeitig eine Trainingspause eingelegt werden. Denn der Körper stellt seine hormonelle Regulation nun in erster Linie auf die Bekämpfung des Infekts um, so dass weder ein sinnvolles Training möglich ist noch eine gute Wettkampfleistung erbracht werden kann. Die Fortsetzung der körperlichen Belastung, des Trainings oder gar ein Wettkampf sind zur Infektbekämpfung kontraproduktiv und können einen Infekt verschlimmern sowie die Infektdauer verlängern. Darüber hinaus erhöht sich durch körperliche Belastung während eines Infekts das Risiko einer Ausbreitung auf andere Organe. Hierbei kann der Infekt auch den Herzmuskel befallen und zu einer Herzmuskelentzündung führen, die nach aktuellen Registerdaten eine nicht zu unterschätzende Ursache für den plötzlichen Herztod beim Sport junger und ansonsten gesunder Athleten ist.  

Erst wenn der Infekt vollständig auskuriert ist und keine Symptome mehr bestehen, kann mit dem Training wieder langsam begonnen und die Belastungsintensität allmählich über ca. 3 – 7 Tage gesteigert werden. Im Zweifelsfall ist eine Vorstellung beim Hausarzt zu empfehlen, der anhand der körperlichen Untersuchung und ggf. von Entzündungsparametern im Blut entscheiden kann, ob wieder trainiert werden kann oder gar ein Kurzeinsatz im Wettkampf wie im Fall von Marco Reus möglich ist.

Fazit

Vernünftig dosiertes Training stärkt das Immunsystem. Gesundheits- und Hobbysportler haben ein geringeres Infektionsrisiko als nicht trainierende Personen oder Hochleistungssportler. Im Falle eines Infekts muss eine Trainings- oder Sportpause eingelegt werden. Das Training sollte erst wieder aufgenommen werden, wenn der Infekt vollständig auskuriert ist.

Über den Autor:
Univ.-Prof. Dr. med. Jürgen Scharhag ist Leiter der Abteilung für Sportmedizin, Leistungsphysiologie und Prävention und Vorstand des Österreichischen Institutsfonds für Sportmedizin (ÖISM) am Zentrum für Sportwissenschaft und Universitätssport