Um in den „Flow“ zu kommen

Zwischen Laufschuhen, freiem Willen und Gesundheit (Titelbild: Tomasz Wozniak/Unsplash)

von Wolfgang Taus

Der Hektik entfliehen – aktiv werden

Jenseits des tagesaktuellen, vergänglichen Gedröhnes „getakteter Maßeinheiten“ der massenmedialen Aufbereitung leben wir modernen Menschen (zumindest in der westlichen Welt) in vom Leistungsdenken durchdrungenen Gesellschaften, was bei vielen von uns – mehr oder weniger bewusst – Stress erzeug. Der renommierte Psychologe Rainer Mausfeld spricht etwa in seinem neuesten Buch mit dem Titel „Angst und Macht“ davon, dass wir aufgrund von sozialen Abstiegs-, beruflichen Versagens- oder Identitätsängsten in einer immer schneller werdenden globalisierten Welt in einer „Kultur der Angst“ leben, die allerlei Krankheiten – physische wie psychische – hervorrufe.  

Im alten Griechenland versinnbildlichte der Gott „Chronos“ die äußere Zeit; die ZEIT, die vergeht – die Chronologie, der Ablauf, die Entwicklung – darum auch „Chronos, der Gott mit der Sanduhr“. Generell die Uhr, deren Sekundenzeiger den „Takt“ angibt.

 Es ist nicht wenig Zeit, die wir haben, sondern viel, die wir nicht nutzen.

Seneca

In unserem hektischen Alltag herrscht zumeist „Chronos“ – geprägt von oft „planloser Zielstrebigkeit“. Ironisch ausgedrückt: „Man weiß zwar nicht wohin man lebt, aber dafür, meint man, man sei schneller dort“. 

Doch gibt es noch eine ganz andere Zeit, die INNERE ZEIT – die Zeit des richtigen Augenblicks-, für die der griechische Gott „Kairos“ steht. Er nützt die „Gunst des Augenblicks“, herauszutreten aus dem Nebel des Alltagsgetümmels -, um sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und aktiv zu werden. 

SPORT als Jungbrunnen   Und genau an dieser Stelle sollte der enorm wichtige Faktor der sportlichen Betätigung – jenseits von leistungsbezogenen „Metern und Sekunden“ – für jeden Einzelnen von uns ins Dasein treten. Einfach, um gesund zu werden und zu bleiben. 

Die Zahl der mehr oder weniger „eleganten Ausreden“, um nicht Laufen, Schwimmen, Radfahren, Wandern oder in ein Fitnessstudio zu gehen, ist groß. Von „Ich kann das nicht“ bis „Ich habe ja keine Zeit“ sollte endlich Abstand genommen werden. 

Die Hemmschwelle, um vom überstrapazierten Kopfdenken zum Tun zu schreiten, die Lauf- oder Wanderschuhe nicht nur „abzustauben“, sondern auch anzuziehen und hinaus in die Natur zu gehen bzw. zu laufen, kann nur durch unser aktives Wollen in die Tat umgesetzt werden. Nicht von ungefähr gibt es das Sprichwort: „Der Wille des Menschen versetzt Berge“ und bringt durch regelmäßigen Sport damit auch seinen physischen und mentalen Körper in Schwingung und Bewegung. Und das ist gut – nicht nur für unseren Körper, sondern auch für unseren Geist. 

Ganzheitsmediziner betonen schon seit Langem, dass Bewegung, Sport und Dehnungsübungen wesentliche Wegmarken auf dem Weg zur Heilung bestimmter zivilisatorischer Erkrankungen darstellen. Dabei spielt aber die Regelmäßigkeit eine wichtige Rolle. 

Der deutsche Kardiologe und Facharzt für Innere Medizin, Prof. Yskert von Kodolitsch, vom Universitären Herz- und Gefäßzentrum UKE Hamburg, hielt in einem erst jüngst in Wien gehaltenem Vortrag fest, dass dem „Willen im physikalischen Modell menschlicher Kräfte“ eine ganz besondere Bedeutung zukommt. Oder wie der britische Philosoph Julian Baggini sagt: „Der freie Wille an sich ist weit entfernt davon, eine Illusion zu sein. Er ist so wirklich, wie wir selbst bereit sind, ihn Wirklichkeit werden zu lassen.“

Mit kleinen Schritten das Wollen stärken   Und dann einfach starten – und Fehler zulassen. Dem eigenen Körper dabei Aufmerksamkeit schenken. Sich Zeit nehmen. Den Atem kommen und gehen lassen, etwa wenn wir schwimmen – wenn die Sonnenstrahlen am Morgen die Oberfläche des Sees zum Glitzern bringen… 

„Da rieselt der Kalk“ – Und wenn wir unser selbst und der Natur gewahr werden, also wenn wir achtsam sind, dann dringen wir zur „Quintessenz“ des Sportes, zum innersten Geheimnis, zum Grund vor, weshalb wir Sport betreiben: das ist der „Flow“. Oder wie es der Mediziner und ehemalige Triathlet Ulrich Strunz in der Formel festmacht: „Flow = wenn Kopf und Körper sich sagen: Schön, dass es dich gibt.“

Ein solches Verschmelzen mit dem Augenblick erzeugt Glücksgefühle. Flow stellt eine „Bewegung im Sein“ dar. Leichtigkeit, Kreativität, Timing, einfach Lebensfreude. Bewegung, die Spaß macht, die guttut. Der Körper ist zudem im Flow, wenn Herz-Kreislauf und Atmung optimal aufeinander abgestimmt sind. Unser Gehirn schwingt dann gewissermaßen „in Harmonie“. Das limbische System, das die Emotionen steuert, harmoniert mit dem Neocortex, dem Sitz für Bewusstsein und Verstand.

Anders ausgedrückt: Flow ist gewissermaßen die „wiedergewonnene Lebensfreude“ abseits unseres allzu geschäftigen Alltags. 

Das „gute Leben“ beginnt mit Achtsamkeit, betont nicht zuletzt der Benediktinerpater Anselm Grün. „Wer nicht achtsam jeden Augenblick lebt, lebt an sich und an der Wirklichkeit vorbei.“ 

Sein Leben bewusst leben – durch Sport   Es braucht also Achtsamkeit, um nicht zuletzt durch maßvolle sportliche Betätigung (ohne übertriebenen Ehrgeiz) sein Leben bewusst zu leben. Achtsamkeit besiegt Angst und Erstarrung. Und im „Loslassen“ während eines Laufes, indem wir das Knirschen des Waldbodens zusammen mit dem Vogelgezwitscher in den Baumkronen hören, den Duft der Kornblumen am Wegrand wahrnehmen, dann befinden wir uns im Flow – in einem meditativen Fluss, wo unsere „Gedankenmaschine“ angehalten wird. Zumindest vorübergehend. Das klingt pathetisch, ist aber so.

Es zielt darauf ab, im eigenen Geist Frieden zu finden, innere Ausgeglichenheit und heitere Gelassenheit zu gewinnen. Die positiven Wirkungen, die von einer solchen „Geborgenheit im Innern“ für die Gesundheit ausgehen, können gar nicht überschätzt werden.

Achtsamkeit und Aufmerksamkeit werden durch unser regelmäßiges sportliches Tun als Zeichen dieser „inneren Wachheit“ angeregt, mit der wir die Welt um uns herum „erfrischend“ auf neue Weise wahrnehmen. 

In diesem Sinne sollte regelmäßiger Sport ein ganz selbstverständlicher Teil von uns werden, der uns abgeht, wenn wir einmal wirklich keine Zeit dazu haben sollten.

Ich bewege mich – also bin ich.