Epigenetik und Sport

Eigentlich haben wir es ja schon immer gewusst. Doch nun scheinen jüngste sportmedizinische Studien darauf hinzuweisen, dass wir Menschen nicht nur vorwiegend durch unsere Vererbung, also unsere Genetik, geprägt werden, sondern in erheblichem Maße auch dadurch, wie jeder Einzelne bereit ist, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Von Wolfgang Taus

Der kenianische Spitzenläufer Eliud Kipchoge stellte 2019 in Wien einen neuen Weltrekord auf. Dabei durchbrach der damals 34-Jährige die Zwei-Stunden-Schallmauer und lief in 1:59:40 zum neuen Weltrekord. Neben den veranlagten und erworbenen Eigenschaften eines Menschen entscheiden aber auch jeweils aktuelle Umwelteinflüsse. Beim Athleten Kipchoge waren und sind es eben nicht nur lange Beine und eine entsprechende Zusammensetzung der Muskelfasern oder eine antrainierte gute Sprinttechnik, sondern eben auch Ernährung, Schlaf, gute Laufschuhe, Außentemperatur oder Luftfeuchtigkeit. Es kommt also nicht auf ein bestimmtes Gen, sondern auf das Zusammenwirken vieler verschiedener Faktoren an.

„Auf der Partitur des Genoms, also der Gesamtheit der vererbbaren Informationen, werden Gene an- und durch Umwelteinflüsse abgeschaltet, zum Teil sogar vollständig“, erklärt etwa der deutsche Sportmediziner Perikles Simon.

Immer mehr scheint die Wissenschaft inzwischen zu entdecken, dass nicht nur genetische, sondern auch epigenetische Merkmale weitervererbt werden können – an die nächste und vermutlich sogar die übernächste Generation.

„Du bist das, was Du aus Dir machst – wie Du Dich regelmäßig ernährst und vor allem Sport betreibst.“

Sport kann unser Erbgut verändern – genauer gesagt, jene molekularen Markierungen, die Gene steuern. „Du bist das, was Du aus Dir machst – wie Du Dich regelmäßig ernährst und vor allem Sport betreibst.“ Bewegung und Sport sind generell die Schlüssel für ein agileres Leben bis ins hohe Alter. Die Sportmedizin hat hier bereits wertvolle Studien am Laufen, um die Hintergründe der Epigenetik, also der Lehre von den Zelleigenschaften, besser zu verstehen. Körperliche Bewegung setzt etwa Dickmacher-Gene matt, aktiviert gute Gene für einen gesunden Stoffwechsel und erhöht die Zahl der Zellen, die sich im Hippocampus unseres Gehirns bilden.

Es gilt heute als gesichert, dass äußere Einflüsse wie Erziehung, Liebe, Nahrung, Stress, außergewöhnliche Belastungen, Sport und vieles mehr unsere Zellen umprogrammieren. Durch unseren Lebensstil nehmen wir – bewusst oder unbewusst – langfristige Weichenstellungen vor und können steuern, ob wir über einen langen Zeitraum gesund und leistungsstark bleiben oder krank, depressiv oder suchtgefährdet werden. Das betrifft nicht nur Spitzensportler, sondern uns alle.

Sport als Jungbrunnen

Es ist nie zu spät, mit Sport (moderates, aber regelmäßiges Kraft- und Ausdauertraining) zu beginnen. Körperliche Aktivität (ob Laufen, Wandern, Radfahren oder Schwimmen) zählt zu den Grundpfeilern eines langen und gesunden Lebens. Das Risiko, an typischen Zivilisationskrankheiten zu sterben, verringert sich durch regelmäßige sportliche Betätigung – aber natürlich immer ohne Übertreibung und mit Augenmaß je nach Gesundheitszustand und Alter – im Vergleich zu körperlich völlig inaktiven Personen, deutlich. Die primäre Therapie für altersbedingte Gebrechlichkeit, Verlust an Muskelmasse und körperliche Elastizität ist – mittlerweile von vielen Experten anerkannt: regelmäßiges Krafttraining (mindestens zweimal die Woche). Auch in Coronavirus-Zeiten, wo Fitnessstudios angesichts wieder erhöhter Fallzahlen möglicherweise wieder schließen müssen, sollte darauf geachtet werden, zu Hause zu ganz bestimmten Zeiten, die Sie selber bestimmen sollten, Übungen mit Eigengewicht wie Liegestütz oder Kniebeugen vorzunehmen. Wenn Sie Hanteln zu Hause haben, umso besser. Nicht zu vergessen: Ausgiebiges Dehnen ist die Basis für jegliche körperliche Dynamik und Agilität – auch und gerade bei älteren Semestern. Sie werden staunen, wie sehr sich Ihr Wohlbefinden zum Positiven verändern wird – vorausgesetzt, Sie machen all diese Übungen diszipliniert.

Wichtig ist, dass Sie etwas tun und dass Sie es regelmäßig tun

Im Zeitalter der fortschreitenden Technisierung und der leicht verfügbaren Nahrung insbesondere in der westlichen Welt ist es nicht leicht, „Couchpotatoes“ zu einem Umdenken ihrer mit Fleischprodukten und Fastfood übersättigten Ernährungs- und Lebensweise zu „bewegen“. Gerade in der Phase des Lockdowns infolge der Corona-Pandemie scheinen Fettleibigkeit, mangelnde Bewegung und Depression infolge des „Social Distancing“ ineinander zu spielen. E-Bikes bzw. E-Roller sind zwar derzeit der Renner, sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit diesen bequemen Fortbewegungsmitteln die Beinmuskulatur zwar zumindest angeregt, aber bei so Manchen doch eher weiter vernachlässigt wird.

„Gesunder Schlaf“ und Sonnenlicht

Ein „gesunder Schlaf“ erhöht zudem die positiven Effekte, die dabei geschaffen worden sind, um Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes etc. hintanzustellen. Einen wesentlichen Einfluss auf unser Wohlbefinden hat das Sonnenlicht. Bewegen Sie sich möglichst viel an der frischen Luft. Sonnenlicht spielt eine maßgebliche Rolle für unsere „innere Uhr“. „Gut leben heißt gut schlafen“. Das Wunder geschieht gewissermaßen in der Nacht, wenn wir schlafen: Infekte lassen nach, das Herz erholt sich. Wenn wir morgens erfrischt aufwachen, überkommt uns vielleicht der eine oder andere Geistesblitz. Die Voraussetzung dazu? Viele Proteine, viel Sauerstoff dank Bewegung im Freien, ein aufgeräumter Kopf und — Tiefschlaf. Letzterer gilt als eigentliche „Urquelle menschlicher Kraft“.

Eine positive mentale Lebenseinstellung – dazu zählt vor allem die bewusste Bejahung der Gesundheit (auch und gerade in körperlich-geistig angespannten Situationen) – erhöht Lebensfreude und allgemeine Zufriedenheit. Es braucht zudem Achtsamkeit, um sein Leben bewusst zu leben und die hereinströmenden Ängste und Unsicherheiten vom Außen loszulassen. „Erst wenn ich aufmerksam werde, entdecke ich den Reichtum des Lebens“, betont etwa der bekannte Benediktinerpater Anselm Grün.

„Der wache Mensch – Du selbst entscheidest über Dein Schicksal. Du bestimmst viel von dem, was Dir geschieht.“

Epigenetik und Sport kann also in einfacheren Worten folgendermaßen zusammengefasst werden: Der wache Mensch entscheidest selbst über sein Schicksal. – „Du bestimmst viel von dem, was Dir geschieht.“ – Jeder Einzelne trägt letztlich mit seinem So-Sein die Verantwortung für sein Glück oder Unglück, für sein körperliches-mentales Wohl- oder Unwohlsein.

Ausdauersport und gezielter Muskelaufbau (aerobes und anaerobes Training) spielen dabei durchaus eine entscheidende Rolle im Gesamtgefüge eines Menschen, um ein geglücktes Leben möglichst bis ins hohe Alter zu führen. „Das Geheimnis der Gesundheit liegt, was die Mehrheit aller Krankheiten betrifft, nicht im Text der Gene, sondern in der Regulation ihrer Aktivität“, betont etwa der Freiburger Neurobiologe Joachim Bauer in seinem Buch „Das Gedächtnis des Körpers“.

Fazit

Ob wir krank, dick und unbeweglich werden, liegt nicht festgeschrieben in unseren Genen. Denn die können wir durch unseren Lebensstil an- und ausschalten. Gezieltes sportliches Training (im Zusammenspiel von Geist-Seele-und-Körper) ist und bleibt der „Motor“ – nicht nur für Junggebliebene. Es ist denn auch der Treibstoff für unzählige Erfolgsgeschichten.

Die Sportmedizin beginnt diese grundlegenden Zusammenhänge erst nach und nach empirisch zu erfassen. Das Potenzial ist jedenfalls immens – vorausgesetzt, wir machen mit und beeinflussen die Arbeitsweise unseres Gehirns auf positive Weise.

Stets gilt: „Auch der längste Marsch beginnt mit dem ersten Schritt.“ (Laotse)