X-Faktor: Das Mindset eines Athleten

Manchen Athleten fehlt es an der nötigen Lockerheit, um zu gewinnen. Diese – und viele weitere mentale Fähigkeiten – kann man trainieren. Der Sieg geht an den Sportler, der das richtige Mindset hat.

Von Philipp Nägele

Bei der Vier-Schanzen-Tournee hat es dieses Jahr für die österreichischen Athleten nicht geklappt. Am selben Abend hatte ich die Interviews von Andreas Felder und Team-Chef Mario Stecher gehört. Der gemeinsame Tonus war, dass es an Lockerheit gefehlt hat. „Man kann so etwas auch nicht erzwingen.“ – Zitat von Skisprungtrainer Andreas Felder. Da kann ich leider nicht zustimmen. Lockerheit ist – wie viele andere „feine“, kaum greifbare Fähigkeiten – erlernbar. Es ist eine Fähigkeit, die sich wie ein Muskel im Körper trainieren lässt. So wie es im Skisprung und in allen anderen Sportarten die verschiedensten Techniken und Trainingsmöglichkeiten, Trainingsvariationen gibt, so gibt es in Bezug auf Fähigkeiten wie Ruhe und Gelassenheit, Lockerheit, Wille und Durchsetzungsvermögen genauso Werkzeuge und Techniken, die erlernbar und einsetzbar sind. Dies nennt man den „mentalen Bereich“.

„Man kann so etwas auch nicht erzwingen.“

Andreas Felder

In meinen Vorträgen „X-Faktor: Das Mindset eines Athleten“ geht es um diesen speziellen Bereich: den Kopf. Den Geist. Die Gedanken und das Mindset, welches so oft den genannten entscheidenden Faktor spielen. Verschiedenste Sprichwörter nennen auch den Begriff Mentalität. Wenn wir von Italienern oder Spaniern sprechen, nennen wir diese heißblütig. Wenn wir von Norwegern, Isländern oder Schweden sprechen, sind sie kühl, trocken und abgezockt. Mentalität und Persönlichkeit ist für mich ein großer Begriff. Genau genommen bedeutet mental, das aus dem Lateinischen „mentalis“ abstammt, „geistig, den Geist oder das Denken betreffend, aus dem Denken hervorgehend“. Und das ist es, worum es geht: aus dem Denken hervorgehend. Es geht dabei aber nicht nur um das Denken, sondern auch um Emotionen. Diese werden im Sport ja ganz groß geschrieben. Mit den Gedanken und den Emotionen kann man arbeiten.

Zwei Boxer und ein Ringrichter, der den Arm des SIegers hochhebt.
Sieg oder Niederlage trennen nicht viel. Oft entscheidet das richtige Mindset (Bild: Pixabay).

Jetzt ist es aber auch wichtig zu wissen, wie denn unser Gehirn funktioniert. Und das ist etwas, was wir leider nicht in der Schule gelernt haben. Unser Gehirn, unser Bewusstsein – und allen voran unser Unterbewusstsein – funktioniert leider nicht wie klassisches Denken und klare Gedanken vermuten lassen. Unser Geist, unser Gehirn funktioniert mit eben diesen Emotionen und mit Symboliken. Stellen Sie sich eine Trophäe vor, und Sie werden sofort etwas damit verbinden: die Nummer 1 zu sein, ein Champion, auf dem Treppchen ganz oben, ein Gewinner. Und Sie können sofort Emotionen damit verbinden und verknüpfen. Und Sie können das sogar, auch wenn Sie vielleicht selbst nie auf diesem Treppchen ganz oben gestanden sind.

Ich habe zuvor davon gesprochen, dass es für die genannten Fähigkeiten – ich habe eine Liste von über 200 „mentalen“ Fähigkeiten auf Lager – Werkzeuge und Techniken gibt, die man trainieren kann. Ich möchte hier ein wenig aufklären. Mentale Arbeit kann nicht von heute auf morgen Früchte tragen. Es ist tatsächlich wie beim physischen Training: man muss die Werkzeuge trainieren und anwenden. Ansonsten können diese nicht funktionieren. Sie erwarten auch nicht, dass Ihre Vorhand im Tennis perfekt funktioniert und Sie den Ball 20 Mal über das Netz ins Feld spielen können, wenn Sie nie trainieren. So bildet sich das im mentalen Bereich auch ab.

Die mentalen Fähigkeiten können aber sehr vielseitig sein. Zu jeder Fähigkeit, die ich mir wünsche, kann ich grundsätzlich Werkzeuge erlernen, die es mir im Kognitiven – im „Denken“ – leichter machen. Hierzu zählt zum Beispiel Fokusarbeit. Weiters gibt es Werkzeuge, die den emotionalen Part beeinflussen. Hier kann es um die eigenen Ressourcen gehen, aber auch um Ziele, Motivation und die eigene Einstellung. Zu guter Letzt gibt es den sogenannten energetischen Bereich. Hier drehen sich die Werkzeuge um Regeneration, Aktivierung und Körperkommunikation.

Kommen wir zurück zum Sport. Gewinnen und Verlieren sind sehr oft ganz nah beieinander. Ich habe eine Frage: wer gewinnt in einem Wettkampf, in dem beide Kontrahenten auf dem gleichen Niveau, in der gleichen Liga spielen? Ich behaupte, dass der Sieg an denjenigen geht, der im Kopf der Stärkste ist. Derjenige, der im Vorfeld sich um mehr bemüht, als nur das Offensichtliche. Der Sieg wird aus meiner Sicht immer an denjenigen gehen, der das richtige Mindset hat. Denn wir wissen alles über Ernährung, über Trainingspläne und Technik. Wir können sogar alles im Internet abrufen, wenn wir wollen. Aber was sich im Kopf abspielt, davon wissen wir wenig. Oftmals wissen Athleten auch nicht, dass „Mentales“ trainierbar ist wie ein Muskel. Und dass es auch hier Werkzeuge und „Trainingspläne“ gibt.

Ich habe noch eine Überzeugung, die ich heute mit Ihnen teilen möchte. Als Coach bin ich davon überzeugt, dass jeder Sportler ein absolutes Individuum ist. Und somit funktioniert mentale Arbeit ebenfalls nur in individueller Arbeit. Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einer Fußballmannschaft – 20 Mann hoch – und sprechen über den Willen zu Gewinnen. Den Willen mehr zu geben. Den Willen, dagegen zu halten. Sind Sie davon überzeugt, dass Sie damit jeden Einzelnen der Sportler ansprechen? Ich glaube nicht. Natürlich gibt es Ansprachen an die Mannschaft. Was tun aber erfolgreiche Mannschaften in Besprechungen? Dies ist zum Beispiel wunderbar in der Dokumentation von FC Red Bull Salzburg mit dem Titel „Jeder.Mann – des is Soizburg“ zu sehen. Trainer Jesse Marsch – der in Wirklichkeit ein Coach ist – spricht in den Pausen nur kurz mit der ganzen Mannschaft. Dann geht es um Taktik. Dann geht es um Motivation. Und die Co-Trainer, Physiotherapeuten und weitere Helfer sprechen dann mit den Spielern einzeln. Was sie zu verändern haben. Was sie zu tun haben. Einzeln. Individuell. Für den einen Fußballer ist der Wille mehr zu tun überhaupt kein Problem. Für den anderen Spieler tatsächlich schwierig. Er hat es vielleicht nie gelernt, sich zu überwinden. Hatte es vielleicht oftmals leicht. Für denjenigen ist die Ansprache wichtig. Für denjenigen, der den Willen von ganz alleine aufbringt, ist diese Ansprache wie Luft.

Was meine ich mit Coach? Ebenfalls ein wichtiger Begriff und ein großer Unterschied zu einem Trainer. Ehrlicherweise trainiert ein Trainer Fähigkeiten. Im Sport meist technische und taktische Fähigkeiten. Der Begriff Coach bedeutet übersetzt „Kutsche“. Was denken Sie, wird ein Coach dann tun? Er wird die Kutsche lenken. Er hat vielleicht ein, zwei oder zehn Pferde vor sich, die er lenken und leiten muss. Das kann schwierig werden und die Kutsche sogar zerreißen. Also sollten sinnbildlich alle Pferde im gleichen Tempo in die gleiche Richtung galoppieren. Dann besteht auch die Chance, die schnellste und beste Kutsche zu werden. Und dabei kommt es genau auf dieses individuelle Pferd an. Sie erkennen die Metapher: das Pferd ist der Athlet. Und dieser will auch gelenkt und geleitet werden. Zu seinen Zielen. Zu seinen Träumen. Aber am Wichtigsten: mit seinen Fähigkeiten und vor allem denjenigen, die genau und individuell wichtig sind, dass er vielleicht ganz nach Oben kommt.

Philipp Nägele ist Mental Coach und Personal Trainer. Weiter Informationen gibt es auf der Homepage der Kaizen-Mindstyle-Academy.