Ich hab’s verbockt

Die Einstellung eines Athleten ist möglicherweise der wichtigste Faktor, wenn es um Sieg oder Niederlage geht. Das wissen wir nicht erst seit diesen Beiträgen. Rund um das Thema „mentales“, die Psychologie des Sports, gibt es heute genügend Studien und Belege dafür, was unser Geist für eine Kraft besitzt.

Von Philipp Nägele

Wir alle haben dieses unglaubliche Bild von Hermann Maier vor Augen, als er sprichwörtlich quer durch die Luft fliegt. Was danach kommt, kann man definitiv nur als „Horrorsturz“ betiteln. Maier startete damals als Favorit in die Abfahrt 1998 bei den olympischen Spielen in Nagano. Stellen Sie sich das vor: Sie haben sich nicht nur vier Jahre auf diesen einen Moment vorbereitet, sondern schon ein ganzes Leben lang. Die Menschen, ihre Freunde und Familie, eine ganze Nation – Millionen von Österreichern – setzen alle Hoffnung auf Sie. Und Sie selbst auch! So sah die Motivation, der Hunger und der absolute Wille von Hermann Maier am Start aus. Uns so kam er auch aus der ersten Kurve heraus. Mit höchstem Speed. Mit voller Gewalt, voller Kraft. Und nach nur 18 Sekunden passierte, was Schrecken auslöste und heute noch Gänsehaut verursacht, wenn wir die Bilder sehen. Nachdem Maier einige Meter wie eine Spielzeugpuppe den Hang hinunterfiel, streckte er die Arme in die Höhe um zu signalisieren: „Alles OK“. Unglaublich. Einen untrainierten Menschen hätte das schwere Verletzungen eingebracht. Natürlich war Maier dann auch im Krankenhaus.

Wenn Sie jetzt darüber nachdenken, wie Ihre Gedanken im Krankenhaus an seiner Stelle gewesen wären, würden Sie möglicherweise denken: „Zum Glück ist alles gut gegangen. Jetzt werde ich erstmal wieder auf die Beine kommen.“ Das waren definitiv nicht die Gedanken von Maier. Ich persönlich kenne die Gedanken von Maier in diesem Moment nicht, wer aber das Interview im Krankenbett gesehen hat, und bemerkt hat, dass er nebenbei mit einem Tennisball in der Hand „gespielt“ hat, dem war klar, er wird so schnell wie möglich zurückkommen. Komme was wolle. Ich bin überzeugt, seine Gedanken waren ungefähr diese: „Fuck, das hab ich verbockt! Meine Chance vertan. Aber in 3 Tagen habe ich eine neue Chance auf Gold im Super-G. Die werde ich nutzen.“ Nicht nur diese Goldene hat sich Maier geholt, sondern auch Gold im Riesentorlauf. Natürlich unvergesslich und eine schier unmögliche Leistung. Wer hier sagt, dass der entscheidende Faktor NICHT der Kopf, die Einstellung und die Gedanken waren, der ist vielleicht selbst auf den Kopf gefallen.

In unseren Köpfen darf im Sport kein Zweifel am Erfolg sein. Wenn nur ein Funke Zweifel bei Hermann Maier gewesen wäre, dann wäre er vielleicht gar nicht angetreten. Die Möglichkeit zu versagen besteht immer. Aber wenn wir diese Ausrichtung im Kopf haben, müssen wir uns sprichwörtlich innerlich umdrehen, und in eine andere Richtung blicken. In die Richtung, die uns zeigt, was wir erreichen wollen. Welche Ziele wir haben. Was uns „anzieht“, was uns motiviert, welches Ziel uns innerlich brennen lässt. Dann können wir die Stärke unserer Gedanken nutzen. Motivation an den Tag legen. Und vielleicht auch diesen unbändigen Willen zu siegen – wie Hermann Maier vor 22 Jahren in Nagano.

Philipp Nägele ist Mental Coach und Personal Trainer. Weiter Informationen gibt es auf der Homepage der Kaizen-Mindstyle-Academy.