Gesundheit, Glück und Lebensfreude – der Sport vor hundert Jahren

Vor gut hundert Jahren ging der Erste Weltkrieg zu Ende. Trotz denkbar schlechter Rahmenbedingungen beginnt sich eine neue Sportkultur in Österreich zu entwickeln. Der Sport vollzieht in dieser Zeit den Wandel vom privaten Sonntagsvergnügen zur Sache des öffentlichen Interesses.

Der Krieg, die spanische Grippe, die Tuberkulose und andere Seuchen fordern unzählige Opfer. Der Herbst des Jahres 1918 ist geprägt von Nachrichten über gefallene Athleten an allen Fronten. Trotz großer Verluste bei den Sportlern findet Sport statt. So wird an der Alten Donau in Wien wettgerudert. Die Beteiligung und die Leistungen der Ruderer werden durch die Anwesenden als „befriedigend“ empfunden, wohl in der Hoffnung, dass es einen solchen Frieden bald gäbe. Der Friede der am Ende des Jahres dann tatsächlich eintritt, führt auch im Sport zu einer überschwänglichen Euphorie. Der Fußballverband klagte sogar über allzu leidenschaftliches Publikum, das durch wörtliche und tätliche Beleidigungen der Spieler oder Schiedsrichter zum Spielabbruch und zur Flucht des anständigen Teils des Publikums führt. Auch ohne Übergriffe durch die Zuseher sind die Sportveranstaltungen durch das Fehlen guter Athleten einiger Kritik ausgesetzt.

Sport wird zur öffentlichen Angelegenheit

Sport wandelte sich in der jungen Demokratie vom privaten Sonntagsvergnügen zur öffentlichen Angelegenheit. Es herrscht aber ein eklatanter Mangel an Sportstätten. Die dringendste Forderung ist deshalb auch die Errichtung eines Sportstadions in Wien. Mit einer damals einmaligen Massenversammlung tausender Sportler wird dem Anliegen Nachdruck verschafft. Der Drang zum Sport ist aber auch durch die schlechten Lebensumstände nicht zu hemmen. Schon zu den Weihnachtsfeiertagen 1918 tummeln sich wieder Skifahrer und Skifahrerinnen auf den verschneiten Hängen von Mürzzuschlag und am Semmering. Auch fast alle Fußballvereine, die während dem Krieg ihre Tätigkeit einstellen mussten, nehmen ihren Betrieb wieder auf.

Sportgeräte sind Luxusartikel

Ein großes Problem stellte die Versorgung mit den benötigten Sportgeräten dar. Diese gelten als Luxusgeräte und unterliegen einer strengen behördlichen Genehmigungspflicht. Fußball- oder Laufschuhe aus heimischer Produktion sind nahezu unerschwinglich. Die Einfuhr aus dem Ausland ist sehr schwierig, da das junge Österreich noch mit keinem Nachbarland Handelsbeziehungen aufgenommen hat. Manches an Sportgerät ist aber noch vorhanden und auch bald wieder in Verwendung. Die kalte Jahreszeit wird zum Eis- und Skilaufen genutzt. Mit dem Frühling hält auch der Rad- und der Wassersport wieder Einzug.

Volksgesundheit

Der Wert des Sports für die Volksgesundheit tritt immer mehr in den Vordergrund. Erstmalig gilt dies für beide Geschlechter. Der Schulsport gewinnt an Gewicht. Die österreichische Lehrer-Sportvereinigung fordert, dass die durch Bewegungsmangel und schlechte Luft in den Schulen blass und unlustig gewordene Jugend für eine vernünftige Sportbetätigung auch entsprechende Schulausstattung brauche.

Die ersten Länderwettkämpfe

Aufgrund der durch den Krieg aufgebrochenen Gräben zwischen den europäischen Nationen steht Österreich ziemlich isoliert da. Einzig zu Ungarn und Deutschland werden bilaterale Sportbeziehungen gepflegt. Die Entente-Mächte boykottierten Österreich auch in sportlichen Angelegenheiten. Durch das Veto Frankreichs wird Österreich sogar die Teilnahme an den Olympischen Spielen 1920 untersagt. Die Idee, Sport als Mittel der Versöhnung und des friedlichen Wettkampfes der Nationen zu nutzten, musste erst wieder reifen.

Die Leichtathletin Mizzi Keller beim Hochsprung
Mizzi Keller beim Hochsprung, sie war eine der besten Leichtathletinnen ihrer Zeit.

Sportliche Großveranstaltungen

Nach und nach bekommen die Menschen wieder Lust auf Sport und Unterhaltung. Die Leichtathleten haben Anfangs einen schweren Start und die geringe Zahl der Starter bei Sportbewerben führt sogar zu einem Ruf nach einer gesetzlichen Startverpflichtung für Athleten. Das Publikumsinteresse wird immer größer. Im April gastierten die Ringer im Ronacher und das erste Radrennen in der Prater Hauptallee lockte sogar 15.000 Zuschauer an. Sport wird zum Massenphänomen, sowohl was die Zuschauerzahlen betrifft, als auch die Zahl der Sportler selbst.

Bis zum Sommer des Jahres 1919 wird die Zahl der Sportveranstaltungen stetig mehr. Die Fußballvereine spielen ihre Meisterschaft und den Cup und auch das Ballsportpublikum lernt seine Emotionen zu bändigen. Frauen bekommen einen immer höheren Stellenwert im Sport und immer mehr Arbeitersportvereine ermöglichen es nun auch der Arbeiterschaft im Sport zu reüssieren. Die Gesundheit, das Glück und die Lebensfreude sind wieder nach Österreich zurückgekehrt.