Spazierengehen hat mit Gehen wenig zu tun

350 Jahre sind seit dem ersten Geher-Bewerb in London vergangen. Seit 90 Jahren ist Gehen Olympisch. In Österreich fristet diese Sportart, die mit 50 km die längste olympische Disziplin ist, ein Schattendasein.

Vor gut fünf Millionen Jahren richtete sich die Menschheit auf und ging. Manch ein Wissenschaftler ist davon überzeugt, dass dies der Beginn der Erfolgsgeschichte unserer Spezies war. Gehen hat auch heute noch einen großen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Welche Mutter kann sich nicht an die ersten Schritte ihres Kindes erinnern? Gehen ist eine durchaus vielseitige Sache. Eine spezielle Form davon ist das leichtathletische Gehen. Eine Disziplin die sich einmal großer Beliebtheit erfreute.

Infografik Gehen

Ein Sport mit langer Tradition

1682 fand ein fünfstündiger Geher-Bewerb in London statt, der Sport war geboren. Im 18. und 19. Jahrhundert erfreut sich der Sport vor allem beim britischen Publikum großer Beliebtheit und bringt erste Sportberühmtheiten hervor. Einer von ihnen war Captain Barclay, der durch besonders aufsehenerregende Wettkämpfe bis zu 10.000 Zuseher anlockte. Basis dieser Wettkämpfe war kein Wettkampfreglement, sondern meist eine Wette unter Aristokraten.

Warum gehen und nicht laufen?

Das Gehen als olympischer Sport hat zwei wichtige Regeln. Die Erste besagt, dass das Knie beim Aufsetzten des vorderen Fußes auf den Boden gestreckt sein muss und zweitens, dass immer ein Fuß auf dem Boden sein muss. Anders als beim Laufen gibt es keine Flugphase. Dies ist umso schwerer, je höher die Geschwindigkeit ist. Die Arme werden wie beim Laufen als Schwungmasse eingesetzt und unterstützen die Gehbewegung. Kampfrichter achten bei den Bewerben über die Einhaltung der Regeln. Wird dagegen verstoßen, führt dies zu einer Verwarnung und beim dritten Regelverstoß zur Disqualifikation.

Seit 1932 bei Olympia

Gehen gehört seit 1932 über die 50-km-Distanz und seit 1956 über die 20-km-Distanz zu den olympischen Disziplinen. Lange Zeit war es nur Männern vorbehalten, sich im Gehen zu messen. Erst seit 2017 werden auch Frauenbewerbe durchgeführt. Der Weltrekord über die 50-km-Distanz liegt bei 3 Stunden, 32 Minuten und 33 Sekunden. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 14 km/h. Der österreichische Rekord liegt etwa eine halbe Stunde dahinter. Er wurde 1992 von Stefan Wögerbauer aufgestellt und liegt bei 4 Stunden, 2 Minuten und 39 Sekunden.

Ein fünffacher Staatsmeister

Roman Brezezowsky ist fünffacher Staatsmeister im Gehen. Für ihn ist vor allem die Gehtechnik das Spezielle. Zum Geh-Sport ist der Leichtathlet per Zufall gekommen, als man für den Geher-Teambewerb bei den Leichtathletik-Masters 2011 in Sacramento noch einen Starter gesucht hat. Zurückgekommen ist er mit einer Silbermedaille im 20-km-Gehen und einer Bronzemedaille im Gehen im 10-km-Gehen im Gepäck. Seit diesem Zeitpunkt ist Brezezowsky ein Fixstern am Himmel der österreichischen Geher Szene.

Vier Männer beim gehen
Der fünfache Staatsmeister Roman Brzezowsky führt meist das Geherfeld an.
(Bild: GEPA pictures/ Walter Luger)

Beim Gehen sind die Frauen nicht das schwache Geschlecht

Bei der österreichischen Staatsmeisterschaft 2018 im 20-km Gehen gelang es der mehrfachen Staatsmeisterin Andrea Kovacs nicht nur ihren Titel zu verteidigen, sondern sie ließ auch sämtliche ihrer männlichen Kollegen hinter sich.

Gehen in der Corona-Krise

Wie auf allen anderen Sportarten hat die Corona-Krise auch auf das Gehen Auswirkungen. „Spazierengehen hat mit Gehen wenig zu tun“, sagt Roman Brezezowsky auf die Frage, ob die ausdrückliche Spaziergeherlaubnis während der Corona-Krise positive Effekte für seine Sportart birgt. Er beklagt vielmehr, dass die Saison jäh unterbrochen wurde. Die Bewerbe wurden alle auf September verlegt. Momentan liegt der Trainingsschwerpunkt auf der Grundlagenausdauer. Schwierig wird es vor allem den Nachwuchs beim Sport zu halten. Obwohl Gehen schonender als Laufen ist, ist es für Nachwuchssportler weniger attraktiv. Vielleicht bietet aber der Neustart nach der Krise die Chance, mehr junge Menschen zum Sport zu bringen.