Das letzte Quäntchen

Im Sport wird oft von der letzten Konsequenz gesprochen. Man kann tatsächlich sagen, dass wenn es darauf ankommt, derjenige gewinnt, der diesen Killer Instinkt hat. Der, der am Ende „egoistisch“ ist und auf sich schaut, der wirklich den Willen zum Gewinnen hat.

Von Philipp Nägele

Ich erinnere mich dabei an meinen Tennistrainer, als ich 12 Jahre alt war. In einer Situation, in der ich wieder knapp hinten war, sagte er damals zu mir: „Philipp: es ist OK, wenn du außerhalb des Platzes gut Freund bist mit Günter (der auf der anderen Seite des Platzes stand), aber auf dem Platz ist er dein Gegner. Du musst ihn besiegen. Du willst ihn besiegen.“

Wir halten uns hier manchmal tatsächlich zurück. Das kann passieren, wenn der Gegner ein Freund ist. Aber was steckt dahinter?

Der Unterschied liegt im Unterbewusstsein. Und all das hat nichts mit Sport zu tun. Denn wir sind auf Sicherheit ausgelegt. Wir sind seit Jahrtausenden nicht darauf angelegt, besser wie der andere zu sein. Wir sind auf überleben getrimmt, nicht auf „töten“. Wir sind auch „Herdentiere“, sind immer in einer Gemeinschaft. Und die Religionen dieser Welt lehren uns, nicht zu „töten“. Unterbewusst geht es zu einem gewissen Grad aber genau darum. Als Sportler muss man sich bewusst werden, dass wir mit einem Sieg „überleben“, und dabei auch „vorankommen“. Das nächste Level erreichen. Etwas lernen können. Der letzte Schluss ist dann der Platz ganz oben am Treppchen.

Wir sind auf überleben getrimmt, nicht auf „töten“.

Wenn es ein Sportler schafft, dieses Gefühl des „Überleben“-Müssens im Wettkampf zu empfinden, kann das ungeahnte Kräfte freisetzen. Es ist gleichzeitig ein zweischneidiges Schwert. Denn real und bewusst nachgedacht, geht es im Sport nicht ums Überleben. Vielmehr freue ich mich als Coach dann, wenn wir das Beste aus einem Sportler rausholen, sein Potenzial ausschöpfen – mit der Prämisse: der Beste Athlet zu werden, der der Sportler sein kann. Unabhängig von Sieg oder Niederlage, von Preisgeld oder dem Applaus.

Das letzte Quäntchen zu geben bedeutet auch, dass ein Athlet sich bewusst werden muss, dass es keinen Unterschied macht, ob man in Runde 1 steht oder im Finale. Der Unterschied ist nur der Gegner, der vielleicht ein wenig besser ist als der, den man in der ersten Runde geschlagen hat. Der Druck baut sich im Sportler auf, obwohl es nicht sein müsste. Routinen und Rituale helfen dabei die Ruhe zu bewahren, bei sich zu bleiben und das abzurufen, was man in den Runden zuvor schon getan hat: sein Potenzial!

Woher auch immer die Kraft und die Energie kommt, um siegen zu wollen, sie dient dem Zweck: auf dem Feld als Sieger vom Platz zu gehen. Das ist ein schöner Gedanke, denn letztendlich geht es „nur“ um den Sport, und nicht ums Leben.

Philipp Nägele ist Mental Coach und Personal Trainer. Weiter Informationen gibt es auf der Homepage der Kaizen-Mindstyle-Academy.